Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz

Ivo Wullenweber

Ivo Wullenweber ist Doktorand im Kolleg und arbeitet an einer Dissertation zur Verteilung des Lohnrisikos im Arbeitskampf, wenn Tarifautonomie als Gerechtigkeit durch Tarifvertrag verstanden wird. Ivo Wullenweber studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin und der University of Dar es Salaam, Tansania, Rechtswissenschaft mit dem Schwerpunkt des Rechts der internationalen Gemeinschaft und der europäischen Integration, welches er 2019 mit der Ersten Juristischen Prüfung abschloss. Nach dem Studium arbeitete er für die zweite Hälfte der 19. Legislaturperiode als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Berliner Büro eines Mitglieds des Deutschen Bundestages. Neben seiner Promotion engagiert er sich als Schatzmeister in einem gemeinnützigen Verein, der sich der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Entwicklungszusammenarbeit verschrieben hat.

Promotion

Die Legitimation der Arbeitskampfrisikolehre unter § 615 BGB vor dem Hintergrund eines Verständnisses von Tarifautonomie als Gerechtigkeit durch Tarifvertrag

Seit der Entscheidung des Reichsgerichts im Kieler-Straßenbahn-Fall von 1923 wird das Lohnrisiko im Arbeitskampf entgegen des Wortlauts des § 615 S. 1 BGB verteilt. Da das Bürgerliche Gesetzbuch seiner Entstehungszeit entsprechend auf einem individualrechtlichen Standpunkt aufbaue, könne die Vorschrift wegen dessen kollektivrechtlichen Charakter im Arbeitskampf nicht angewandt werden. Dieser Rechtsprechung schloss sich das Bundesarbeitsgericht an. Mit über die Jahrzehnte wechselnden Begründungen wurde von Arbeitskämpfen mittelbar betroffenen Arbeitgeber:innen gestattet, bei objektiver Unmöglichkeit oder wirtschaftlicher Sinnlosigkeit der Fortführung des Betriebs, ihren Arbeitnehmer:innen den Lohn zu verweigern.

Das Arbeitskampfmittel der Lohnverweigerung müsse den Arbeitgeber:innen nach derzeitiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dann zur Verfügung stehen, wenn eine Verschiebung der Parität der sozialen Gegenspieler zu befürchten sei. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen der betroffenen Betriebe dem bzw. den gleichen oder organisatorisch verbundenen Verbänden bzw. Gewerkschaften angehören. Dabei ist Parität der sozialen Gegenspieler nach dem Bundesarbeitsgericht Voraussetzung für ein Funktionieren des Tarifvertragssystems. Dieses sei wiederum von der Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz garantiert.

An diesem Punkt setzt das Forschungsvorhaben an. Ausgehend von einem, vom derzeit herrschenden abweichenden, Verständnis von Tarifautonomie als „Gerechtigkeit durch Tarifvertrag“ sollen das Paritätsprinzip und die in ihm wurzelnde Arbeitskampfrisikolehre eine kritische Betrachtung erfahren. Hieran soll ein Vorschlag zur Verteilung des Lohnrisikos im Arbeitskampf anschließen, der mit dem Zweck der Tarifautonomie, für Austauschgerechtigkeit im Arbeitsverhältnis zu sorgen, vereinbar ist.