Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz
23.11.2023

Lohnentwicklung und Arbeitskampf

Gemeinsamer Workshop mit dem MPIfG am 17.11.2023

Felix Syrovatka

Mit welchen spezifischen ökonomischen und rechtlichen Hindernissen sind sektorale Arbeitskämpfe konfrontiert und wie wirken sich diese auf die Lohnentwicklung in den verschiedenen Branchen aus? Dies war die zentrale Fragestellung unseres interdisziplinären Workshops, den wir am 17.11.2023 in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Berlin-Dahlem durchführten. Im Mittelpunkt des Interesses standen dabei sowohl sektorale Langfristtrends von Arbeitskämpfen und Lohnentwicklungen als auch jüngere Entwicklungen im Kontext von Pandemie und Inflation.

Nach einer konzeptionellen Einführung durch Prof. Dr. Martin Höpner und Prof. Dr. Florian Rödl in den Zusammenhang von sektoralen Arbeitskämpfen im exportorientierten Wachstumsregime Deutschlands und spezifischen rechtlichen Entwicklungen im Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht widmete sich der Workshop der konkreten sektoralen Analyse. Durch politökonomische und juristische Inputs renommierter Wissenschaftler*innen wie Prof. Dr. Anke Hassel (Hertie School Berlin), Prof. Dr. Gerhard Bosch (IAQ Duisburg-Essen), Dr. Donato Di Carlo (LUISS), Dr. Ruth Abramowski (Uni Bremen) sowie von unseren Stipendiat*innen wurden die politischen, ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, Handlungsressourcen und Restriktionen der Tarifparteien in der Lohnfindung und im Arbeitskampf herausgearbeitet und sektorale Besonderheiten dargelegt. Dabei wurde deutlich, dass die Gewerkschaften in vielen Branchen mit vielfältigen Hindernissen konfrontiert sind. So wurden beispielsweise die ökonomischen Auswirkungen von Fernwirkungen oder die rechtlichen Probleme von Mindestbesetzungsregelungen diskutiert.

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Arbeitsbeziehungen in vielen Branchen zum Teil stark fragmentiert sind, was Arbeitskämpfe erschwert. Tarifpolitische Instrumente zur Stärkung und Ausweitung der normativen Wirkung von Tarifverträgen, wie z.B. die Allgemeinverbindlichkeit, werden jedoch zunehmend von den Arbeitgebern blockiert und auch juristisch in Frage gestellt. Auch die zunehmende Zersplitterung des Arbeitgeberlagers in verschiedene, zum Teil konkurrierende Arbeitgeberverbände sowie die starke Zunahme der so genannten Mitglieder ohne Tarifbindung führen zu einer sinkenden Tarifbindung. Damit verbunden ist nicht zuletzt eine gedämpfte Lohnentwicklung, die oft weit hinter den europäischen Nachbarn zurückbleibt. Das Schlusslicht bildete in den letzten Jahren oftmals der öffentliche Dienst, der im Zuge des verstärkten Wettbewerbsföderalismus massive Einsparungen vorgenommen hat.

Den Abschluss des Workshops bildete eine gemeinsame Diskussionsrunde mit tarifpolitischen Praktiker*innen von EVG und ver.di, die einerseits über Besonderheiten und Strategien in Tarifverhandlungen und andererseits über die zum Teil problematische Situation in ihren Branchen berichteten. Daraus entwickelte sich eine spannende Diskussion über die Reformbedürftigkeit des deutschen Tarifvertragssystems und die Notwendigkeit, die Tarifautonomie durch vielfältige Instrumente zu stärken. Dabei wurde auch deutlich, dass die tarifpolitischen und wissenschaftlichen Perspektiven auf die Tarifautonomie deutlich näher beieinander liegen als erwartet.

Der Workshop ermöglichte einen interdisziplinären Dialog über die rechtlichen und wirtschaftspolitischen Zusammenhänge der Lohnfindung, wobei sich die Vorträge und die verschiedenen Diskussionsbeiträge interdisziplinär ergänzten. In ihrer Gesamtheit ergaben sie ein breites Bild der sektoralen Lohnentwicklung und der sie beeinflussenden rechtlichen, politischen und ökonomischen Kontextbedingungen.

Unser Kolleg