Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz
28.09.2022

Konferenzbericht: Recht und Macht in Arbeitsbeziehungen

Am 22. und 23. September 2022 fand unsere Nachwuchskonferenz „Recht und Macht in Arbeitsbeziehungen“ im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin statt. Bereits der Titel machte deutlich, dass es das Ziel der Konferenz war, eine interdisziplinären Perspektive auf die Tarifautonomie zu entwickeln und ihre Bedeutung für die Industriellen Beziehungen in Deutschland herauszuarbeiten. Dementsprechend folgten die Beiträge der Konferenz einem Rechtsverständnis, dass rechtliche Normen, insbesondere im Arbeitsrecht, als in gesellschaftliche Verhältnisse eingebettet verstand. Somit war die Konferenz durch rechts-, sozial-, politik-, und geschichtswissenschaftliche Beiträge geprägt, die einen interdisziplinären Dialog über die Grundlagen der Tarifautonomie ermöglichten.

Die knapp 80 Teilnehmer*innen der Konferenz konnten einem abwechslungsreichen Programm folgen. Thematischer Ausgangspunkt war die Beobachtung unseres Forschungskollegs, dass sich in den letzten Jahrzehnten ein liberalistisches Grundverständnis von Tarifautonomie als „kollektiv ausgeübte Privatautonomie“ etabliert hat, dass weder rechtlich der normativen Bedeutung noch gesellschaftspolitisch der realen Funktion des Tarifvertragssystems gerecht wird. In seiner Begrüßung der Konferenz betonte Prof. Dr. Florian Rödl , dass diese rechtsdogmatische Begründung der Tarifautonomie nicht nur inkonsistent, sondern zugleich rechtspolitisch zu einer Verengung des gewerkschaftlichen Handlungsspielraums, und damit zu einer Schwächung des Tarifvertragssystems führt (zum Eröffnungsbeitrag von Florian Rödl).

Autonomie im Arbeitsrecht & Democracy at Work

Den inhaltlichen Auftakt der Konferenz bestritt Prof. Ruth Dukes von der University of Glasgow, die in ihrer Keynote die doppelte Bedeutung von Autonomie im Arbeitsrecht hervorhob. Sie betonte, dass die Autonomie des Arbeitsrechts als eigenständiges Rechtsgebiet durch seine Trennung von anderen Rechtsgebieten, als auch die Autonomie der Tarifpartner gegenüber dem Staat eng miteinander verknüpft sind. Dementsprechend bedinge eine Autonomie der Tarifpartner, insbesondere der Gewerkschaften eine Autonomie des Arbeitsrechts und damit auch ein funktionierende Tarifvertragssystem. Zugleich bedarf es ein autonomes Arbeitsrecht, um die Autonomie der Tarifpartner auch juristisch zu begründen. Mit Blick auf die Entwicklungen in Großbritannien und die zunehmende „Rückkehr des Zivilrechts“ in vielen europäischen Ländern plädierte sie für eine Stärkung der Autonomie des Arbeitsrechts.

An die Keynote schlossen zwei Panels zur Tarifautonomie und Arbeitskampfrecht sowie zur Tarifautonomie und Arbeitsvertragsrecht an. In beiden Panels referierten die rechtswissenschaftlichen Promovierenden des Kollegs „Gerechtigkeit durch Tarifvertrag“ zu ihren Promotionsprojekten. Die Vorträge behandelten den Zusammenhang von Tarifvertrag und Streikrecht, die Arbeitskampfrisikolehre, das Beamtenstreikrecht, die Tarifdispositivität, die Lohnwuchergrenze und die Rechtfertigungslast schlechterer Vergütung bei Frauen. Nach den jeweiligen Vorträgen erwuchs eine rege Diskussion mit dem Publikum über die einzelnen Promotionsprojekte und die mit ihnen verbundenen Thesen.

Der erste Konferenztag endete dann mit einer Präsentation des neuen Buches „Democracy at Work“ von Prof. Dr. Ruth Dukes und Prof. Dr. Wolfgang Streeck über die Veränderung der Arbeitswelt und ihre arbeitsrechtliche Reflexion. Das Buch wurde kritisch von Prof. Dr. Wolfgang Däubler kommentiert, woran sich eine spannende Diskussion zwischen den Konferenzteilnehmer*innen und den Autoren über die Entwicklung des Arbeitsrechts in Deutschland und das Verhältnis zwischen Status und Vertrag entspann. Die Diskussion wurde danach bei einem Getränk auf dem Abendempfang der Konferenz weitergeführt, die das Kolleg mit freundlicher Unterstützung der Kanzlei dka-Anwälte organisiert hatte.

Interdisziplinäre Panels und kollektive Interessenvertretung jenseits des Streiks

Der zweite Konferenztag begann mit einer Keynote von Gerd Bender vom Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie zur Entwicklung des kollektiven Arbeitsrechts in der Weimarer Republik. Bender betonte die Brüche und die Kontinuität in der Herstellung des kollektiven Arbeitsrechts in der Weimarer Republik und ihrem Verhältnis zum Staat. Dem rechtshistorischen Vortrag folgten drei parallele Panels, die die interdisziplinäre Bandbreite der Konferenz dadurch repräsentierte, als dass in ihnen nachwuchswissenschaftliche Forschungsprojekte aus der Rechts-, Sozial-, und Politikwissenschaft vorgestellt und diskutiert wurden. Dadurch ergaben sich interessante Diskussionen, die durch die unterschiedlichen Perspektiven die disziplinären Grenzen durchbrachen.

Den inhaltlichen Abschluss der Konferenz stellte die Keynote von Prof. Dr. Wolfgang Däubler von der Universität Bremen dar, der in seinem Vortrag einen Einblick in die juristische Theorie und Praxis von kollektiver Interessenwahrnehmung jenseits des Streiks gab. Er plädierte vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der Arbeitswelt dafür, auch ungewöhnlichen Instrumenten, wie bspw. eine verlängerte Betriebsversammlung oder einen Flashmob, mehr Beachtung zu schenken und damit den Rechtsrahmen für kollektive Interessenwahrnehmung stärker auszuschöpfen. Seinem Vortrag folgte eine angeregte Diskussion über die kreative Nutzung von Arbeitskampfmaßnahmen und ihre Vermittlung mit den verschiedenen Welten von Arbeitsbeziehungen in Deutschland.

Insgesamt war die Konferenz ein Ort, an dem nicht nur die Zwischenergebnisse unserer Forschung präsentiert wurden, sondern an dem sich ein interdisziplinärer Dialog zwischen der Rechts-, Politik- und Sozialwissenschaften über die Tarifautonomie und ihrer Stellung innerhalb des Systems der industriellen Beziehungen in Deutschland entwickelt hat. Durch die rege Teilnahme von Vertretern aus Wissenschaft, Rechtspraxis, Gewerkschaften und Politik war zudem ein fruchtbarer Austausch mit juristischen und politischen Praktikern sichergestellt. Diesen Dialog wollen wir weiter vertiefen und daher auch im nächsten Jahr fortführen. Wie Prof. Dr. Johanna Wolff von Universität Osnabrück in ihren Abschlussworten betonte, soll die rechtspolitische Dimension in der weiteren Arbeit des Kollegs stärker akzentuiert werden und im Zentrum der Abschlusskonferenz im nächsten Jahr stehen.

Unser Kolleg